Braunschweiger Zeitung, Samstag, 22. Januar 2022
Menschen in der Stadt:
Reden wir mit Torsten Bierwisch über Sport, Bewegung und Hilfe für Menschen.
von Henning Noske
Foto: Bernward Comes
Was tust du selbst für ein besseres Leben?
Braunschweig Der Verein Friends For Life vereint Extrem- und Ausdauersportler aus der Region. Und die Brunswick Wheelers setzen auf öffentlichkeitswirksame Touren auf dem Rad für gute Zwecke. Jetzt gibt es ein neues Projekt. Auch Torsten Bierwisch (57), geboren in Haldensleben, treibt es voran. Beruflich Disponent im Heizkraftwerk bei BS-Energy, ist er ein Gesicht für „Friends“ und „Wheelers“. Und dann sprechen wir.
Ein neues Projekt für die Brunswick Wheelers – was ist geplant?
Der Verein Weggefährten, Hilfe für tumorkranke Kinder und ihre Familien, will in ein neues Haus am Klinikum ziehen, die „Kinderoase“. Dabei helfen wir mit dem „Haus vom Nikolaus“, das jeder kennt. Wir fahren und laufen es tatsächlich in einem Zug ab vom 1. bis 4. September, von Donnerstagabend bis Sonntagnachmittag – 1300 Kilometer mit dem Rad und 200 Kilometer für unsere Läufer. Braunschweig, Lüneburg, Küste, Osnabrück, Oldenburg heißen die Knoten und Schnittpunkte. Wir haben zwar noch keinen Namen dafür, aber es steht schon fest, dass wir es mit dem Klinikum, den Weggefährten, den Friends For Life und den Wheelers durchziehen. Wie schon bei der Löwenherz- Tour 2018 sollen auch wieder Menschen mit Handicap dabei sein, eine inklusive Tour.
Wie seid Ihr auf den Verein Weggefährten gekommen?
Das Fahren nach dem GPS-Muster des „Hauses vom Nikolaus“ ist schon lange in meinem Kopf. Schon beim Löwenherz, als wir ein Herz durch Deutschland fuhren, hat sich eindrucksvoll gezeigt, dass sich ein Bild besser im Bewusstsein verankert. Wir wollen Auf- merksamkeit! Dann las ich in der BZ vom „Braun- schweiger des Jahres“ und von Thomas Lampe und dem „Kinderoase“-Projekt am Klinikum. Das passt! Die „bauen“ ein Haus – und wir unterstützen das. Das ist unser Weg: So etwas bringen wir nach vorn.
Das freut uns auch. Extrem- und Ausdauersport für verdammt gute Zwecke, was ist der Hauptantrieb?
Ich sage immer: reiner Egoismus. Bitte nicht falsch verstehen. Wir haben einfach gemerkt, dass man wesentlich mehr rausholen kann, auch für sich. Du tust etwas, ziemlich viel sogar, aber es ist keine Arbeit und du bekommst unheimlich viel zurück. Die Freude bei den Leuten, die Freundschaften, die sich bilden. Du kannst Menschen helfen. Es ist nicht nur Sport, so schnell wie möglich von A nach B, es ist viel mehr.
Kreativer Egoismus, Challenge im sportlichen Ehrgeiz – ein extremes Beispiel war vor zwei Jahren im Januar 2019 der „Memorial Ride“ nach Auschwitz, mehr als 800 Kilometer in zweieinhalb Tagen, nachts bei Frost …
… minus 7 bis 9 Grad, das war schon extrem. Dann kommt man in der Gedenkstätte an, wird dort empfan- gen, bringt mehr als 8000 Euro Tour-Erlös mit – und erlebt am gleichen Abend etwas, das jeden von uns verändert hat. Der stellvertretende Leiter der Gedenk- stätte stellt uns die damals 94-jährige Auschwitz- Überlebende Bat-Sheva Dagan vor. Sie bereitet gerade ihre Rede für die Gedenkfeier vor – und bringt uns zwölf 50- und 60-Jährige zum Heulen. Das ist es, was man tun kann, in diesem Fall die Geschichte zu hinterfragen, aus ihr zu lernen. Vor allem: Was tue ich selbst, Meckern, auf andere schimpfen, das ist immer einfach. Was tust du selbst für ein besseres Leben?
Sport ist der Katalysator, auch öffentlichkeitswirksam.
Das ist es ja, wir wollen es nicht nur für uns machen. Wir wollen andere Menschen animieren, es finanziell zu unterstützen oder sich selbst zu engagieren. Alles „auf Augenhöhe“ und nicht abgehoben. Dafür ist halt wichtig, dass es ich herumspricht – und dann fährt man auch auf einer Woge der Unterstützung, kann auch wieder neue Projekte planen.
Die meisten haben zudem noch fordernde Berufe, wie hält man sich da fit?
Ich fahre beispielsweise jeden Tag mit dem Rad zur Arbeit, egal bei welchem Wind und Wetter. Dann Spinning (stationäres Fahrrad, Red.) drinnen, Wandern draußen. Ja, auch Fitnessbude, um ein bisschen an Rücken, Nacken, Bauch zu arbeiten. Du schiebst auch ernährungsmäßig nicht alles in dich rein, wenngleich die Verlockungen oft riesengroß sind. Aber vor allem: immer in Bewegung sein und bleiben! Wenn du deinen Körper kennst und viel machst, dann bekommst du auch wichtige Rückmeldungen, was dir jetzt gut tut. Als ich Hawaii hinter mir hatte, konnte ich alles essen, was das Herz begehrt …
… den Ironman-Triathlon …
… ja, 3,8 Kilometer Schwimmen, 180 Kilometer Rad- fahren, dann noch ein Marathonlauf, alles an einem Tag, Temperaturen von 40 Grad. Da bist du stolz, ein Finisher zu sein, also das Ziel erreicht zu haben. Ich sa- ge aber auch: Das, was wir machen, ist auch nicht immer gesund. Das geht nur, wenn man kontinuierlich auf einem gewissen Level bleibt und sich dort hintrainiert. Viel wichtiger für alle, die das lesen, ist es, die Sache ruhig und ruhiger anzugehen.
Es muss nicht immer Höchst- und Spitzenleistung sein, ich muss nicht immer mit einer Uhr laufen und noch schneller und immer schneller. Es geht auch nicht darum, sich immerzu zu vergleichen. Es kann auch nicht stimmen, dass sich Leute bei „Facebook“ immer gut fühlen. Es geht nicht immer nur um Bestzeiten. Ganz klar: Sich jeden Tag in irgendeiner Form zu bewegen, das bringt schon richtig was. Ich fahre zum Beispiel nicht zum Einkaufen, ich gehe mit meiner Frau einkau- fen. Wir sind ja ein Volk von Anstrengungsvermeidern geworden. Auto, E-Bike, E-Scooter, Bringdienste – alles hilft mir dabei. Schön, aber wir gewöhnen uns An- strengung und Bewegung leider einfach ab. Gesund ist das auch nicht.
Friends For Life, Brunswick Wheelers – seid Ihr politisch?
Ja, ganz bestimmt. Unser „Memorial Ride“ nach Auschwitz hat das gezeigt. Auch das „Haus vom Niko- laus“, es wird politisch sein, denn die Gesellschaft muss sich da engagieren, wo Menschen Hilfe brauchen. Inklusion, dito.
Im Moment hat man in der Corona-Pandemie den Ein- druck, dass die Gesellschaft auseinanderzufallen droht.
Mir fällt so manches auf. 60 Prozent der deutschen Männer sind beispielsweise übergewichtig. Wir essen uns krank, haben extremen Bewegungsmangel. Dazu kommt der Konsum von Alkohol, Tabletten, Drogen. Jetzt in der Pandemie haben wir große Gesundheitsdis- kussionen, wo bleibt denn aber eigentlich dieses große Thema? Da stehen Menschen zusammen und reden rauchend über Nebenwirkungen. Wir wollen und müs- sen uns schützen, schmeißen aber unseren Müll in die Landschaft und ins Meer. Wir sind das Volk? Das Volk sind die anderen. Wir sind ein Teil.
Deshalb sage ich: Bitte mal fünf Minuten hinsetzen und wirklich überlegen, was tue ich eigentlich für die Gesellschaft? Wem helfe ich? Wie mache ich meinen Job, was kann ich leisten? Ich begreife übrigens auch nicht, wie man Feuerwehrleute, Polizeibeamte oder Sa- nitäter behindern oder sogar angreifen kann. Was ist, wenn ich selbst mal Hilfe brauche? Dann rufe ich nach ihnen. Ich will und muss nicht Recht haben. Bitte einfach nur mal nachdenken, manchmal reicht schon ein Denkanstoß. Reicht es, immer nur auf andere Leute zu zeigen?
Jetzt darfst du dir eine Frage wünschen?
Nein, ich wünsche mir eine Antwort. Wie kriegen wir alle die Köpfe wieder geradegerückt, wie kommen wir wieder ins Miteinander, wenn die Medizin das Virus besiegt hat?
Schwer zu sagen, das interessiert mich auch. Ich glaube, dass Menschen wie die Friends For Life und die Brunswick Wheelers mit ihren Aktionen viel dazu beitragen und erreichen können. Wie kann ich auf andere Menschen zugehen und was verbindet uns? Von Euch, Euren Ideen und vom Sport mit Regeln, Fairplay, Respekt und Anstrengungsbereitschaft kann man da viel lernen.
Vielen Dank für das Gespräch. Mehr Informationen: ffl-extremsport.de
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